Tonfa-Jutsu (トンファー)
Geschichte und Bedeutung des Tōnfa
Die Tōnfa gehört zu den bekanntesten Waffen des Okinawa-Kobudō und ist zugleich ein faszinierendes Beispiel dafür, wie aus einem einfachen Werkzeug eine hochentwickelte Kampfwaffe wurde. Ursprünglich diente sie als Handgriff für Mühlsteine, mit denen Getreide oder Reis gemahlen wurde. Der Holzgriff wurde in eine seitliche Bohrung des Mühlsteins gesteckt, sodass dieser durch Drehbewegungen in Gang gesetzt werden konnte. Diese Alltäglichkeit und Unauffälligkeit war es, die den Menschen Okinawas im 17. und 18. Jahrhundert ermöglichte, die Tōnfa im Verborgenen zu einer Waffe weiterzuentwickeln, während ihnen der Besitz von Schwertern und anderen Kriegswaffen untersagt war.
Die Transformation vom Werkzeug zur Waffe zeigt die Kreativität und Anpassungsfähigkeit der okinawanischen Bevölkerung. Der Griff, der zunächst nur zum Drehen eines Mühlsteins gedacht war, erwies sich als idealer Hebel für Schlag- und Blockbewegungen. Bald wurden die Tōnfa nicht mehr nur einzeln, sondern im Paar geführt, sodass ein Kämpfer in jeder Hand eine Tōnfa hielt. Dadurch ergab sich eine Vielfalt an Anwendungsmöglichkeiten, die von kräftigen Schlagbewegungen bis hin zu Rotationen reichten, mit denen Angriffe abgefangen oder weitergeleitet werden konnten.



Die Tōnfa ist in vielerlei Hinsicht eine Waffe der Nähe. Sie wird dicht am Körper geführt und verstärkt die natürlichen Bewegungen der Arme. Durch die seitliche Griffposition können Schläge mit einer Drehung der Handgelenke und der Unterarme verstärkt werden. Gleichzeitig erlaubt die Tōnfa das Blockieren gegnerischer Waffen wie Schwert oder Stock, indem sie den Angriff über die lange Seite ableitet.
Im historischen Okinawa wurde die Tōnfa nicht nur als Selbstverteidigungswaffe genutzt, sondern auch als Symbol für Erfindungsgeist. Sie zeigt, wie aus alltäglichen Gegenständen ein ausgefeiltes Kampfsystem entstehen konnte, das bis heute weltweit praktiziert wird. In der Moderne hat die Tōnfa sogar eine besondere Karriere gemacht: Der sogenannte PR-24-Schlagstock, der von Polizeikräften in vielen Ländern eingesetzt wurde, basiert direkt auf dem Prinzip der Tōnfa. Damit hat diese traditionelle Bauernwaffe den Sprung in die zeitgenössische Sicherheitstechnik geschafft und bewiesen, dass ihre Wirksamkeit universell ist.
Besonders faszinierend an der Tōnfa ist ihre Vielseitigkeit. Sie kann als Schlagwaffe, als Hebelwerkzeug oder als Schutzschild genutzt werden. Durch Rotationsbewegungen (Mawashi) lassen sich dynamische Verteidigungen entwickeln, die mit rein linearen Waffen kaum möglich sind. In vielen Traditionen wurde die Tōnfa daher als Sinnbild für Anpassungsfähigkeit gesehen – eine Eigenschaft, die im Budō bis heute hochgeschätzt wird.
Oliver Meyer (3. Dan Kobudō, 2. Dan Hanbō) verbindet wissenschaftliches Denken mit Praxis. Als Referent für Tōnfa bringt er Struktur und Klarheit in die Lehre.
„Kampfkunst ist auch Forschung – jeder Schlag ist eine Erkenntnis.“
Graduierungen
2. Dan Gendai Goshin Hanbo-Jutsu
1. Dan Gendai Goshin Kobu Jutsu
1. Dan Shogen-Ryu
Training im KKD
Im Kobudo Kwai Deutschland (KKD) nimmt die Tōnfa einen besonderen Stellenwert ein, da sie zu den klassischen Doppelwaffen gehört. Das bedeutet, dass Schüler von Anfang an lernen, mit beiden Händen gleichzeitig, aber nicht identisch zu arbeiten. Diese Form des „dualen Trainings“ ist eine der größten Herausforderungen des Gendai Goshin Kobujutsu und macht die Tōnfa zu einer Schlüsselwaffe im Prüfungsprogramm.
Schon in den frühen Kyū-Graden werden die Grundhaltungen und die ersten Schlag- und Blocktechniken vermittelt. Typisch für das Tōnfa-Training ist das Wechseln zwischen enger Körperführung und weiten Rotationen. Die Schüler üben, Schläge nicht nur frontal, sondern auch kreisförmig auszuführen. Diese Mawashi-Bewegungen verbinden Geschwindigkeit mit Kraft und schaffen ein hohes Maß an Variabilität. Auch Stöße mit den kurzen Enden der Tōnfa gehören von Beginn an dazu.
Das Prüfungsprogramm sieht eine klare Progression vor:
• Tōnfa Shodan vermittelt die grundlegenden Techniken, einfache Schläge und Blockbewegungen.
• Tōnfa Nidan erweitert diese um Rotationen, Hebel und Kombinationen.
• Tōnfa Sandan vertieft das Verständnis für beidhändiges Arbeiten und Partnerübungen.
• Höhere Formen wie Hamahiga no Tōnfa oder Kishaba no Tōnfa fordern den
fortgeschrittenen Schüler durch komplexe Abläufe, Drehungen und Übergänge.
Ein zentrales Element des Trainings im KKD ist das duale Arbeiten. Während bei Waffen wie dem Hanbō oder Bō vor allem die Führung einer Einzelwaffe im Vordergrund steht, müssen die Schüler bei der Tōnfa lernen, beide Hände unabhängig, aber koordiniert einzusetzen. Das linke und das rechte Werkzeug haben oft unterschiedliche Aufgaben – während eine Tōnfa blockiert, schlägt die andere, während eine abwehrt, setzt die andere zum Konter an. Diese Form des Trainings ist nicht nur für die Technikentwicklung wichtig, sondern auch für die geistige Flexibilität.
Im Partnertraining offenbart die Tōnfa ihre besondere Stärke. Sie eignet sich hervorragend, um Angriffe auf kurze Distanz abzufangen und sofort in Konterbewegungen umzuwandeln. Durch ihre Stabilität kann sie auch starken Schlägen standhalten und gegnerische Waffen kontrollieren. Gleichzeitig zwingt sie den Übenden, mit beiden Händen gleichermaßen zu agieren und dabei stets das Gleichgewicht zu halten.
Im KKD wird die Tōnfa auch als didaktisches Werkzeug verstanden. Sie schult Koordination, Reaktionsvermögen und die Fähigkeit, beidhändig zu arbeiten. Diese Fähigkeiten wirken weit über das eigentliche Waffen-Training hinaus und bereichern auch das Karate, da sie den Körper insgesamt beweglicher und vielseitiger machen.
Die Tōnfa ist damit im KKD eine Waffe, die Tradition und Moderne verbindet. Sie zeigt den Ursprung im bäuerlichen Alltag, hat ihren Weg in die Polizeiausbildung der Gegenwart gefunden und dient heute als Lehrmittel für Koordination, Technik und Selbstverteidigung.
Trainingsinhalte Tonfa
• Grundhaltungen und korrekter Griff
• Blocktechniken mit Schaft und Quergriff
• Stoßtechniken mit der langen Seite
• Schlagtechniken aus Drehbewegungen
• Griffwechsel und Richtungswechsel
• Paariges Arbeiten (rechte und linke Hand mit unterschiedlichen Mustern)
• Kombinationen von Schlag und Block in schneller Folge
• Drehbewegungen zur Verstärkung von Abwehr und Angriff
• Partnerübungen für Timing und Kontrolle
• Kata mit historischen Anwendungen
Warum Tonfa-Training wichtig ist
Das Training mit der Tōnfa ist eine Schule für Koordination, Kraft und Präzision. Es schult die Fähigkeit, beide Körperseiten gleichzeitig, aber unterschiedlich einzusetzen. Dadurch entsteht ein Training, das gleichermaßen Körperkraft, Reaktionsschnelligkeit und mentale
Konzentration fördert.
• Fördert beidhändiges und duales Arbeiten
• Entwickelt Koordination und Präzision
• Erhöht Reaktionsgeschwindigkeit im Nahkampf
• Vermittelt den Transfer zu modernen Polizeiwaffen
• Stärkt Schulter-, Arm- und Rumpfmuskulatur
• Schult das Arbeiten in unterschiedlichen Bewegungsmustern
• Verbindet traditionelle Kata mit praktischen Anwendungen
Drei Fakten Tonfa
1.
Ursprünglich ein Griffstück zum Drehen von Mühlsteinen (später Waffe)
2.
Grundsätzlich paarig geführt, eine in jeder Hand (Doppelwaffe)
3.
Grundlage moderner Polizeiwaffen wie Seiten- oder Quergriff-Schlagstöcke